AKADEMIE DER KÜNSTE | 100 YEARS BAUHAUS
ONE MILLION - WORLD PERFORMANCE @ DAS ERÖFFNUNGSFESTIVAL

23. Januar 2019 / 20-22 Uhr

Location: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin

www.bauhaus100.com




Die in Berlin lebende Wiener Künstlerin Uli Aigner dreht – formschöne und funktionale weiße Gefäße, elegant und widerstandsfähig, Kunstgegenstände für den täglichen Gebrauch, um daraus zu essen und zu trinken.

Es ist ihr Lebensprojekt und reicht doch weit darüber hinaus, denn eine Million Gefäße will sie bis an ihr Lebensende fertigstellen. Dabei legt sie mit jeder Form des Weiterreichens, Verschenkens, Versendens der Objekte eine Spur in die Welt: jedes Gefäß wird registriert, fotografiert und auf einer Weltkarte vermerkt. So entsteht über die Künstlerin ein Fadennetz von Menschen, die im Besitz des Geschirrs waren, sind und sein werden; die Geschichte einer wachsenden Teilhabe wird gleichzeitig Teil ihres sozialen Kunstwerks. Als „Gesamtkunstwerk“ sieht sie ihren Lebensentwurf, in dem Produktion, Privatleben und Welt eine Einheit bilden.

Für das Eröffnungsfestival 100 jahre bauhaus legte sie eine neue Weltkollektion auf, mit der sie auf Bauhaus-Formen reagiert. Die 207 Gefäße wurden ab dem 23. Januar ausgestellt und während der Eröffnung speiste die Künstlerin mit Gästen aus den über 200 Ländern der Welt, die zur Vernissage eingeladen waren. An diesem Abend wurde das gemeinsame Essen aus 207 Gefäßen zur Performance.

Das Bauhaus Eröffnungsfestival lud 207 Menschen aller Länder dieser Erde, die in Berlin und Umgebung leben und Lust haben, an einem performativen Abendessen teilzunehmen, ein, an Aigners Eröffnung teilzunehmen. Jede/r Teilnehmer/in erhielt das Geschirr, ein Unikat inspiriert von Bauhausformen, im Anschluss an das Essen als Geschenk.




Konzept/Performance: Uli Aigner
Kuratorin: Bettina Wagner-Bergelt
Visuelle Dokumentation: Michal Kosakowski
Musik: KP Werani
Abendessen: Carsten Rosener / Epoque Catering
Eröffnungsrede: Heinz Schütz
Produktionsleitung: Peter Boragno
Technik: Björn Matzen
Produktionsassistenz: Clarissa Seidel
Büro: Finn Jensen


ERÖFFNUNGSREDE VON HEINZ SCHÜTZ

Guten Abend,

meine kleine Ein- und Hinführung zu Uli Aigners One Million ist in drei kurze Kapitel gegliedert:

1. Kapitel: Es geht um die Hand

Im Bauhaus Manifest, das im April 1919 veröffentlicht wird, schreibt Walther Gropius:

"Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine „Kunst von Beruf“. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers."

1998 arbeitet Uli Aigner an einer Serie von Zeichnungen. Sie porträtiert "Anni u. Sepp" - ihre Eltern. Dabei lenkt sie, im Gegensatz zur Porträttradition, die Aufmerksamkeit nicht auf die Gesichter und Körper der Porträtierten, sondern auf deren Hände; präziser auf handelnden Hände, auf Hände die Arbeiten verrichten wie Schneiden und Einstecken, Kochen und Schnitzen, Aufdrehen und Formen, Waschen und Fordern. Nicht zuletzt werden dabei über die Tätigkeit geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen ablesbar, ein Teil der Geschlechterkonstruktion erfolgt auch über das, was die Hände tun. Bereits ein Jahr zuvor, 1997, hatte Uli Aigner in der Zeichnungsserie "Totally Handmade" die Aufmerksamkeit auf Hände und deren Verrichtungen gelenkt.

Hände sind eine entscheidende Schnittstelle zwischen Körper und Welt, mit den Händen lässt sich die Welt und der Andere ertasten und berühren. Sie dienen nicht nur dazu etwas zu begreifen, sie sind das Hauptinstrument um etwas hervorzubringen, um etwas zu produzieren, das dann, sozusagen ebenso in der Welt ist wie diejenige, die es produzierte. Eymologien sind nicht immer hilfreich, aber im gegenwärtigen Zusammenhang liegt der Hinweis nahe, dass im Handeln das Wort Hand steckt.

Uli Aigner, und darin findet sich eine nicht unwesentliche Berührung mit dem Bauhaus, geht es um die Hand, die Handarbeit und das Handwerk, aber keineswegs nur darum.

2. Kapitel: Es geht um mehr als die Hand.

Um nochmals auf das Bauhaus Manifest zurückzukommen. Gropius setzt Künstler und Handwerker nicht gleich. Er schreibt: "Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers." Und weiter heißt es: "Kunst entsteht oberhalb aller Methoden, sie ist an sich nicht lehrbar, wohl aber das Handwerk." Kunst übersteigt aus dieser Perspektive das Handwerk. Das Handwerk mag die Basis sein und doch erschöpf sich aus der Perspektive von Gropius Kunst nicht im Handwerk.

Wie sieht es bei Uli Aigner aus? Was geschieht mit dem Handwerk und über das Handwerk hinaus?

a. Bereits in Uli Aigners Zeichnungen "Offene Form", die seit 2013 entstehen, werden Gefäße zu einer Art Äquivalent des Körpers, zu einer Hülle auf deren Oberfläche eigene Lebenserfahrungen eingeschrieben sind, sie werden aber auch zu einem Haus, als Schutzraum und auch als Gefängnis, und insbesondere zu einer Form, die nach oben offen ist und keineswegs nur einschließt. So betrachtet ist das Gefäß Symbol für eine Körperanalogie, aber auch eine Herausforderung die darin angelegte Offenheit wahrzunehmen.

b. Außerhalb der Zeichnungen mit ihren symbolischen und mimetischen Allusionen, die r meist der alltäglichen Lebenswelt entstammen, sind - zumindest die in der letzten Zeit produzierten Gefäße und Geschirre zuerst einmal und vor allem für den Gebrauch bestimmte Gegenstände. Das mag dem Autonomiepostulat der Moderne, dass Kunst keinen außerkünstlerischen Zwecken zu folgen habe, widersprechen. Das Postulat wurde bereits bei De Stijl, im Konstruktivismus und Bauhaus unterwandert bis hin zur Arte Utile heute, wie sie in den letzten Jahren etwa von Tania Bruguera neu belebt wurde. Und auch bei Uli Aigner ist der Gebrauch nicht ein Widerspruch zur Kunst, sondern ein Teil von ihr.

c. Bereits im Avantgardismus kursierte wie eine Zauberformel die Sehnsucht und Forderung, Kunst und Leben zu versöhnen. Bereits in den erwähnten Zeichnungen finden der Alltag und die darin agierenden Personen eine Entsprechung. Uli Aigners eigene Versöhnung von Alltag und Kunst ist nun ein entscheidender Schritt, der Kunst als eine Art von personalem Handlungsmodell etabliert. Ein entscheidender Grund sich der Weißdreherei zu widmen und sich dem Projekt "One Million" zuzuwenden bestand nicht zuletzt in ihrer Lebenssituation. In einem Gespräch stellt sie fest: "Die Hinwendung zu "One Million "eröffnete einen Handlungsrahmen, der den sozusagen ritualisierten Alltag, Handwerk und Kunst zusammenbrachte." Kunst wird hier zu einem Gebrauchs- und Handlungsmodell.

3. Kapitel: Es geht um "One Million".

Es geht um eine Million eigenhändig produzierter Porzellangefäße und Geschirrteile.

a. Nicht nur diejenigen, die in der Mitte ihres Lebens damit anfangen eine Million Porzellanteile als Zielvorgabe zu erreichen, werden zwangsläufig an diesem Ziel scheitern. Die Vorgabe konfrontiert mit der Begrenztheit des eigenen Lebens und der eigenen Sterblichkeit. Ähnlich wie Hanne Darboven mit ihrer Schreibzeit, die Datumsbilder On Kawaras oder Roman Opalkas Zahlenreihen markiert die angestrebte Produktion einen zwangsläufig durch das eigene Ende begrenzten Weg. Die Abfolge der mit Nummern versehenen Porzellane bildet eine lineare Reihe hin auf ein imaginäres Ziel.

b. Schon im 19. Jahrhundert begannen Maschinen zunehmend das, was zuvor in Handarbeit entstand, war zu übernehmen. Im digitalen Zeitalter radikalisierte sich die Möglichkeit ganz enorm, Arbeit durch computergenerierte Verfahren zu ersetzen. Die mit der eigenen Hand arbeitende Uli Aiger nun skandalisiert den Gegensatz von Handarbeit und Computerarbeit nicht, ganz im Gegenteil sie stellt das Digitale neben das Analoge. Als in den späten Achtzigerjahren die ersten Computer kursierten stellte sie eine monumentale über drei Meter große Vase gleichwertig neben eine computergenerierte Bildschirmvase.

Eine entscheidendes Instrument für "One Million" sind die Möglichkeiten der digitalen Online-Kartografie. Wenn eine Porzellanarbeit verschenkt oder verkauft wird, wird der Ort, an den der Beschenkte oder der Käufer das Porzellan nimmt, in eine digitale, online zugängliche Karte eingetragen. Auf diese Weise entsteht ein globales, für alle einsehbares Netzwerk. Über den konkreten Gegenstand wir ein imaginäres Netz von zum Gebrauch bestimmtem Gegenständen aufgebaut, Gebrauchsgegenstände, die alle unterschiedlich sind aber aus ein und derselben Hand stammen. Die Globalisierung konkretisiert sich und stellt über analoge, in Handarbeit entstandene Dinge eine Gemeinsamkeit her.

c. Dieses Gemeinsame wird nun auch hier an der aufgebauten Tafel performativ durch den Gebrauch der Porzellane und im Essen vollzogen. Jedes Geschirrteil ist anders, jedes Geschirrteil rekurriert auf eine Zeichnung von Oskar Schlemmer - Zeichnungen für sein triadisches Ballet, die Uli Aigner frei und assoziativ in ihrer Produktion aufgreift. Darüberhinaus steht jedes Geschirrteil für ein Land, dessen Namen in das Porzellan eingeschrieben wurde. Die Benutzer und Benutzerinnen des Geschirrs stammen aus den Ländern der Geschirravatare oder repräsentieren sie. Am Tisch versammelt sind 206 Länder, von denen viele für viele unbekannt sein mögen - sie werden von den unterschiedlichen Interessenslagen und Machtverhältnissen ausgeblendet. Ein Geschirr steht für die Staatenlosen. In einer Zeit, in der sich zunehmend nationalistisches Gedönse breit macht, insistiert die Tafel auf dem Gemeinsamen im Unterschiedlichen. Im vereinenden Essensritual ist jedes Geschirr anders. Und, um nochmals auf die Hand zurückzukommen: die Hand einst das "Hauptwerkzeug" der menschlichen Produktion, wird beim Essen zum Instrument der Nahrungsaufnahme und Selbstreproduktion.

Greifen Sie zu und Ihnen allen eine guten Appetit.


ONE MILLION - WORLD PERFORMANCE - BAUHAUS EDITION (SELEKTION)